Freitag, 25. März 2016

Automobile Fastenzeit

 
 
Das heutige Ausstattungsangebot in modernen Fahrzeugen ist beinahe erdrückend. Was brauche ich, was braucht der Nachkäufer, was beeindruckt den Nachbarn? Zwischen elektrisch verstellbaren Sitzen, die natürlich auch beheizt und neuerdings sogar gekühlt sein möchten, Automatikgetrieben mit unzählbar vielen Gängen, Fahrerlebnisschaltern, ausgefeilten Infotainment Applikationen und nicht zuletzt auch die zunehmende Online-Funktionalität der Fahrzeuge verstellen den Blick aufs Wesentliche. 



Porsche hat vor kurzen den 911 R vorgestellt. Er soll fokussiert sein - auf das Wesentliche. Das Mittel der Wahl: Fasten. Turbolader, Klima, E-Sitze, Automatik, High-End Entertainment oder Schalldämmung über alle Maßen wurden einfach - zusammen mit einem Haufen Gewicht - wegrationalisiert. So entsteht ein Produkt, dass dem Nutzer etwas vermitteln möchte, dass abhanden gekommen ist: schlichte, ehrliche, unkomplizierte Fortbewegung, die nicht zuletzt genau deswegen reizvoll ist. Es gibt jedoch, wie sollte es auch anders sein, einen Haken. Es wird nur neunhundert und elf Stück davon geben. Zu stattlichen Preisen. 189.544€ sollen es sein. 


Ist die automobile Besinnung also alleinig Reichen vorbehalten? Eigentlich nicht. Den Toyota Aygo gibt es ebenfalls in Basisausstattung bereits ab 9.950€. Gemeinsamkeiten: keine Klimanalage, manuelle Sitze, drei Pedale im Fußraum und ein ehrlicher Saugmotor. Dass dieser dann auch noch der Hälfte eines 911 Aggregats (mit dem halben, halben Hubraum) entspricht passt da ganz gut ins Bild. Der Verzicht auf kostentreibende Motorentechnologie führt zu einer Gesamtleistung, die deutlich weniger als einem viertel der 500 PS des 911 entspricht. Es ist nicht ganz ein Siebtel übrig. Das Toyota typische VVT-i, also die Phasenverstellung der Einlassnockenwelle hat der kleine Motor trotzdem mitbekommen. Und das macht sich positiv bemerkbar. 


Trotz geringer Spitzenleistung ist die Bewegungsfähigkeit des Wagens über einen breiten Drehzahlbereich sichergestellt. Stadttempo im letzten Gang. Macht er gerne mit. Den Dritten von der Beschleunigunsspur bis über die Autobahnrichtgeschwindigkeit ausdrehen? Funktioniert auch. Und wird von einem gesunden Motorgeräusch untermalt, dass gerade im mittleren bis oberen Drehzahlbereich garnicht klapprig, sondern herzlich kernig klingt. Ein gesunder Viertel-V12 also. Die Leistung eintsprich der des Vorgängerfahrzeugs. Es wurden trotzdem einige Änderungen vorgenommen. Der vormals vorhandene Bowdenzug zur Drosselklappe ist einem Kabelstrang gewichen und die Abgase versammeln sich vor dem Besuch der chemischen Reinigung schon im Kopf zu einem gemeinsamen Strom. 


Das Getriebe arbeitet unauffällig - im positiven Sinne. Gute manuelle Eingaben führen zu entsprechend guten Ergebnissen. Man könnte eine etwas lang geratene Übersetzung bemängeln. Ist das gravierend? Wenn man keine Rennen fährt eigentlich nicht. Vermutlich sind die Abstufungen dem Verbrauchszyklus geschuldet. Das Fahrwerk gibt sich ebenfalls unkapriziös und berechenbar. Während Kleinwagen vergangener Dekaden mit oft wenig vertrauenerweckenden querdynamischen Qualitäten versehen waren, besitzt der Aygo eine gesunde Portion an Reife. Dabei fällt positiv auf, dass er nicht übertrieben hart oder weich ist. Der Aufbau rollt und nickt merklich, vermittelt dem Fahrer dadurch allerdings eher Rückmeldung als Unwohlsein. Abrollkomfort gibt es, aber nicht viel. Die kleinen Räder (obwohl schon eine Nuance gewachsen) und der Klasse entsprechend günstige Dämpfer heben das Ansprechen auf Fahrbahnunregelmäßigkeiten nicht in die aktuelle Mittelklasse. 


Zugutehalten muss man an dieser Stelle, dass sich das Fahrzeug insgesamt so solide anfühlt, dass die etwas härteren Schläge nicht als besorgniserregend wahrgenommen werden. Das Geräuschniveau im Fahrgastraum ist für einen Kleinwagen ausgesprochen gut. Gerade im Vergleich mit dem Vorgängermodell hat sich hier und im Bereich Sitze und Mobiliar viel getan. Die Lenkung ist so wie sie sein soll: richtungsweisend - im Wortsinne. Nicht mehr und nicht weniger. Man hat also durchaus das Gefühl Herr/in der Lage zu sein. Besondere Meriten für Rückmeldung oder so etwas verdient sie sich nicht. Die Auslegung ist besonders für die Stadt und den Parkplatz gut zu gebrauchen. Kann man sich also knapp 180.000€ Aufpreis zum Porsche sparen? Einerseits ja, denn auch der Aygo fährt von Hamburg nach München und zurück, wenn man möchte. Und auch in der Stadt sind die Vorteile des Sportwagens gering bis fragwürdig. Im Stau stehen auch alle gleich. Andererseits werden Sound und Performance des Porsche wohl mehr Begeisterung auslösen als die nüchterne Wirtschaftlichkeit des Aygo. 

Das Bedürfnis nach Mobilität befriedigen beide. Teilweise in ähnlicher Art aber nicht auf dem gleichen Niveau. 

Text: Nic
Fotos: Comickus

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