Freitag, 2. November 2012

Geländewagen was heißt das schon?

Reserverad auf der Haube und Flecktarn -so sehen Geländewagen aus.

Die meisten Wagen es doch ohnehin nicht ins Gelände. Aber sie könnten es, wenn es nötig wird. Und das allein reicht vielen schon als Argument sich ein SUV (Sport Utility Vehicle) zu zulegen. Nur leider wissen die meisten potenziellen Käufer und Besitzer garnicht was ihr fahrbarer Hochsitz alles wirklich kann oder nicht.

Gerade heute hat sich vor meinen Augen ein VW Tiguan auf einer feuchten Wiese festgesetzt, hängengeblieben wegen einer Bodenwelle und Straßenreifen. Da nützt auch die Kraft der vier Räder nichts.

Also was macht ein Auto zum Geländewagen, wann ist ein SUV ein Geländewagen und wann nur ein Kombi mit mehr Bodenfreiheit und unlackierten Stoßfängern?

Das Verteilergetriebe (rot) leitet die Motorkraft (orange) nach vorne (gelb) und hinten (grün). 

Für den Anfang natürlich essenziell um überhaupt als Offroader eingestuft zu werden: Allradantrieb. Alle Räder werden vom Motor angetrieben. Dazu befindet sich bei (bei traditionellen Modellen) hinter dem normalen Getriebe ein Verteilergetriebe welches die Kraft wahlweise nur zu den Hinterrädern oder zusätzlich an die Vorderräder leiten kann. Die meisten Verteilergetriebe verfügen über zwei Untersetzungsstufen (1:1 und 2:1), um in schwerem Gelände die Motorleistung zu erhöhen. Dies verlangsamt gleichzeitig die Fahrtgeschwindigkeit und hilft so im Gelände ohne schleifende Kupplung über Hindernisse rollen zu können. 

Je nach Baujahr und Konstruktionsaufwand lässt das Verteilergetriebe ein Schalten zwischen Heck- und Allradantrieb sowie Untersetzung nur im Stillstand oder während der Fahrt zu (teilweise bis 100kmh!). Die 'besseren' permanent Allradler besitzen im Gegensatz zu den einfachen zuschaltbaren Varianten ein Differenzial welches die Drehzahlunterschiede beim Kurvenfahren auf griffigem Untergrund ausgleicht. Andernfalls knarzt und knallt es fürchterlich wenn die Räder starr um die Kurve gezwungen werden. 

Fürs Militär entwickelt und heute auch Zivil sehr beliebt, das Urgestein Mercedes G.

Aus diesem Grund wird in jeder Betriebsanweisung strikt untersagt mit Zuschalt-Allradlern ohne Differenzial oder bei gesperrtem Mittendifferenzial (kein Drehzahlunterschied möglich) auf Asphalt zu fahren. Hinweis: Nur weil ein Geländewagen 'permantenen Allradantrieb' besitzt, muss dies nicht bedeuten das ohne zutun des Fahres zu jeder Zeit alle Achsen mit dem Motor verbunden sind. Teilweise schaltet sich die zweite Achse nur dazu wenn die erste Achse traktionsschwierigkeiten hat. Dafür gibts die "4x4 Auto" stellung am Wahlhebel des Verteilergetriebes, oder "4x4 Lock" für wirklichen Allrad. Ohne weitere Offroad-Zutaten kommt auch ein solcher Fulltime-4x4 nicht viel bewirken. Sobald an jeder Achse ein Rad durchdreht steht man wieder still, dafür bedarf es einer Traktionskontrolle. In modernen Fahrzeugen übernimmt dies das ESP und bremst einzelne Räder ab, richtige Offroader sperren zusätzlich die Achsdifferenziale so das immer beide Räder angetrieben werden. Dies unterscheide die SUV von Geländewagen besonders.

Der zweite Schritt zum Geländewagen ist ein entsprechendes Fahrwerk einzubauen. Ausreichende Bodenfreiheit ist essenziell um nicht an jedem kleinen Stein den Unterboden zu beschädigen. Eine weiche Federung mit viel Bewegungsfreiheit verhilft den Rädern bei unebenem Terrain zu besserer Bodenhaftung. Denn nur ein Rad mit Bodenhaftung zieht die Karre aus dem Dreck. Stabil sollten die Komponenten der Radführung und Lenkung natürlich auch sein. Schließlich muss der Wagen gegen und über Hindernisse gefahren werden um das Ziel zu erreichen. Normale PKW-Teile halten diese Belastungen nur kurzzeitig durch. Im optimalen Fall steht der Wagen auf Starrachsen mit massiven Blatt- oder Schraubenfedern. Das vergrößert den Fahrkomfort und das Rennstreckenhandling zwar nicht im geringsten aber dafür sollte man sich wirklich keinen Offroader anschaffen.

Das letzte Puzzelteil ist die Karosserie. Mit kurzen Überhängen vor und hinter den Achsen verbessert sich die Chance im Gelände nicht sofort eine Stoßstange zu verlieren. Über steile Kuppen hilft ein kurzer Radstand sonst liegt irgendwann der Boden auf und die Räder hängen in der Luft. 

Alles was ein SUV schaffen muss.

Ist mein (als Beispiel) Chevy Captiva jetzt also ein Geländewagen, SUV oder doch nur Schausteller? Nach der obigen Definiton hat ein Geländewagen Allradantrieb, eine hohe Bodenfreiheit und eine relativ knappe Karosserie mit wenig Überstand nach vorne und hinten. All das hat unser Auto auch. Aber trotzdem ist es nur ein Crossover/Möchtegern (Schausteller) oder bestenfalls ein SUV. Mit dem für Straßenpkw üblichen Bedarfs-Allrad mit Lamellenkupplung die im Dauerbetrieb die Segel streicht und fisseligen normalo-PKW Fahrwerkskomponenten die nach einem Tag in der Sandgrube mehr Spiel haben als die Bundesliga, darf ein solches Gefährt sicher nicht als waschechter Offroader betrachtet werden. Aber wer sich wie die meisten Menschen ein Auto 'gönnt' und nicht nur aus Vernunft handelt wird das sicher verschmerzen können.

Der Anti-G mit 21'' Alufelgen und 510PS, der ML63AMG.

Den um die Sache objektiv zu sehen braucht fast niemand einen SUV geschweige denn einen Geländewagen. Denn im Asphalt-Betrieb könnte ein allradgetriebener Kombi mit etwas höherer Bodenfreiheit (zb Volvo V70XC CrossCountry oder Audi Allroad) die drei Hauptargumente leicht entkräftigen: 
  • Ich brauche ein Auto mit großer Anhängelast mit dem ich den Wohnwagen/ Pferdeanhänger/ Würstchenbude von der matschigen Wiese ziehen kann.
  • Ich will Hoch sitzen damit ich leichter einsteigen kann, mehr sehe (und mich Sicherer fühle!)
  • Es sieht einfach geil aus so einen fetten Brocken in der Einfahrt stehen zu haben. 
Damit wir diese Wünsche entkräftigen können hier ein Beispiel: Der Audi Q5 als Top-Diesel mit 245PS zieht maximal 2400kg, der gleichstarke A6 Allroad sogar 2500kg und Verbraucht trotzdem einen Liter weniger auf 100km. Das hohe Sitzen kann man auch im Allroad erleben. und das Gefühl der Sicherheit ist gerade bei SUV trügerisch da diese nur dank ESP-Sicherheitsnetz nicht bei jedem Ausweichmanöver auf dem Rücken liegenbleiben.

Das ein (pseudo-)Geländewagen kräftig wirkt und mehr hermacht als ein Golf ist natürlich nicht von der Hand zuweisen. Zählt man noch das umfangreiche Zubehörangebot dazu können sich auch Mit-40er wieder Kataloge voller Teile ans Auto bauen wie zu ihren besten Zeiten -und mit Chrom-Rammbügel und Zusatzscheinwerfer-Batterie durch die 30erZone zu fahren ist weniger kitschig als mit Bodykit und grüner Unterbodenbeleuchtung. Finde ich jedenfalls, aber das ist natürlich persönliche Geschmackssache.

Der Urvater aller Geländewagen Willys MB und Enkel Jeep CJ5.

Von den Wurzeln im Militäreinsatz verweichlichen die Geländewagen von Generation zu Generation, nurmehr vier Eckpfeiler der Gemeinschaft dürften sich als echte Offroader vom Fließband bezeichnen lassen: der Jeep Wrangler als Urahn des echten JEEP und Namensgeber einer Fahrzeuggattung, der Landrover Defender als einer von nur zwei Traditionalisten die rein äußerlich nur geringfügig vom Originalmodel abgewichen sind, das Mercedes G-Modell mit über 30 jährigem Widerstand gegen Fortschritt und der besten rein manuellen Offroadtechnik die man ab Werk bekommen kann (Starrachsen, permanent Allrad, drei Sperrdifferenziale) und der Toyota Landcruiser -der lebt noch heute mehr neben als auf der Straße. Mit diesen Kandidaten darf man sich noch wirklich ins Gelände wagen, die einzige nötige Modifikation sind grobstollige Reifen, ansonsten kanns gleich losgehen. Den Preis dafür sind noch heute viele Menschen bereit zu zahlen: unzeitgemäße Verbrauchswerte, durchweg schlechteres Fahrverhalten als die primär straßentauglichen Schwestermodelle (Jeep Liberty, Landrover Rangerover, Mercedes ML). schlechteres Crashverhalten besonders mit Fußgängern und die Probleme bei der Parkplatzsuche aufgrund der ausgewachsenen Größe. 

Das SUV der Zukunft, Honda HR-V als reines Straßenfahrzeug.

Die Zukunft des SUV geht ohnehin in Richtung reiner Straßenautos die nichtmal ins Gelände könnten wenn ihr Leben davon abhängt. Der Verzicht auf jede Art von Allradantrieb oder sonstigen Grundmerkmalen erhöht den Fahrkomfort und senkt den Verbrauch deutlich. Sehr sinnvoll, da die meisten SUV-Fahrer ihr Leben lang nicht weiter von der Straße wegkommen als auf die Wiese des Campingplatzes. Dafür reicht wirklich ein kompatkes City-SUV, und spart Geld gegenüber der ungenutzen Technik von Hardcore-Offroadern die 99% der Zeit nur nutzlos spazieren gefahren wird.

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