Bevor wir mit irgendeiner (größeren) Reparatur am Auto anfangen, machen wir uns immer Gedanken darüber wie lange die Operation wohl dauern wird. Alles hängt davon ab wieviele Arbeitsschritte erforderlich sind und wie groß die Chance auf Verzögerung ist. Muss man erstmal den halben Wagen zerlegen um an das defekte Bauteil zu gelangen? Oder sind sämtliche Schrauben und Muttern an einer ungeschützten Stelle schon seit 20 Jahren vom Rost angefressen worden? Kann man mit ordentlichem Werkzeug und ausreichend Platz beuquem arbeiten oder erwartet uns stundenlanges fummeln ohne direkte Sicht in unbequemer Haltung? Heute haben wir drei Fälle die alle nicht so laufen wie geplant.
Als erstes müssen wir bei dem blauen Fiesta JD3 von Tippe die Folgen der letzten "kleinen Aktion" beheben. Damals sollte ein kaputter Bremssattel getauscht und im selben Arbeitsgang die alte Bremsflüssigkeit gewechselt werden. Leider brach dabei einer der Entlüftungsnippel vom Radbremszylinder der Hinterachse ab. So hat diese Aufgabe schon mal pauschal deutlich länger gedauert als alles was wir vorher kalkuliert hätten. Selbst wenn wir nicht erst passende Ersatzteile bestellen müssten, hat sich der Zeitaufwand von wenigen Minuten fürs Entlüften auf mindestens eine halbe Stunde verlängert. Die Bremstrommel (inkl Radlager) muss abgenommen, die Bremsbacken ausgehakt und der Radbremszylinder abgeschraubt werden.
Leider gelang es nicht die Staubkappen intakt zu entfernen. So kommen nochmal rund 10€ für zwei neue Deckel zu den Bremszylindern (das Paar kostet rund 25€) hinzu. Immerhin lässt sich die Trommel mit wenig Aufwand abziehen und die starre Bremsleitung (SW11) lösen ohne das sie an der Überwurfmutter festhängt und abzureißen droht. Zusätzliche Zeitersparnis bringt die Halterkonstruktion welche Ford für die Bremsbacken gewählt hat. Mit einer großen Zange die beiden U-förmigen Federbleche zusammendrücken und rausziehen, dann können die beiden Backen mit allen Federn dran als Einheit nach unten und vorne weggezogen werden. Auf diese Weise haben wir den nötigen Spielraum um den Bremszylinder rauszunehmen (zwei Schrauben SW10) und müssen nicht mühsam alle Federn aushängen und wieder einhaken.
Nachdem der neue Zylinder einsetzt, festgeschraubt und angeschlossen ist, müssen wir die Bremsbacken nur noch wieder an ihren Platz bringen und die Halteklammern aufschieben. Knapp eine Woche nachdem wir eigentlich mit dem Fiesta fertig sein wollten, haben wir jetzt endlich alles soweit zusammen. Mit dem Entlüftungsgerät drücken wir neue Flüssigkeit durch die Leitungen damit der Ford später auch vernünftig bremsen kann. Die nächste Baustelle ist der undichte Endschalldämpfer. Nach knapp 16 Jahren ist auch ein Originalteil mal durchgerostet. Selbst wenn der Sound ganz geil ist, kann das auf dauer nicht so bleiben. Im Netz gibt es Nachbauteile schon ab 30€, aber wir geben lieber etwas mehr Geld aus und haben dafür hoffentlich weniger Probleme beim Einbau. Schlecht passende Ersatzteile sind wieder so ein Faktor der die Zeitplanung komplett über den Haufen werfen kann.
Immerhin haben wir ziemlich optimale Arbeitsbedingungen auf der Hebebühne. Zuhause auf dem Boden mit Wagenheber und Unterstellböcken macht so eine Aktion einfach keinen Spaß, egal wie gut die neuen Teile auch passen mögen. Erschwerend kommt hinzu wenn man an einem relativ modernen Auto arbeitet bei dem die Abgasanlage ohne Trennstelle vom Katalysator bis zumd Endrohr durchgeht. Das heißt wir müssen beim neuen Endschalldämpfer die Rohrlänge messen und das originale Rohr an der passenden Stelle durchsägen. Wegen den beengten Platzverhältnissen müssen wir erstmal die Haltegummis lösen damit sich alles soweit wie möglich nach unten absenkt um das Rohr auch von oben durchzutrennen. Unser Werkzeug der Wahl ist ein kleiner Druckluft-Winkelschleifer der auch an engen Stellen gut funktioniert. Das passende (oder unpassende) Werkzeug für den Job kann also auch viel Zeit sparen.
Theoretisch kann der neue Schalldämpfer jetzt auf das alte Rohr geschoben und fesgeschraubt werden. Dann die beiden Haltegummis einhängen und ab die Post. Das klappt natürlich nicht. Die Halterungen sitzen komplett falsch und die Rohrschelle ist zu groß. Also Halter abflexen und neu anschweißen, passende Rohrschelle besorgen und wieder einbauen. Mit etwas Dichtmasse auf der Verbindungsstelle ist die Anlage am Ende sogar dicht und der Wagen wieder leise. Genauer gesagt ist er so leise weil die Batterie leer ist und der Motor nicht mehr anspringt. Bloß gut das Walter die Starthilfebox allzeit breit ist und der Fiesta sofort wieder im Leben ist. Insgesamt haben wir nur mit diesem Ford schon fast drei Stunden verbracht. Am nächsten Tag steht ein blauern Audi A6 auf der Bühne bei dem wir die unteren Querlenker tauschen wollen. Wir befürchten schon das diese Aufgabe zur Geduldsprobe wird und nichts auf Anhieb klappt.
Der Audi ist nochmal ein gutes Stück älter, hat mehr Kilometer auf der Uhr und höchstwahrscheinlich noch viele Originalteile drin die seit jahrzehnten nicht mehr gelöst wurden. Wenn man sowas schon vorher weiß, macht es Sinn alles mit Kriechöl einzusprühen um die Chancen ein wenig zu verbessern. Das haben wir natürlich verpennt. Aber irgendwie muss es auch so gehen. Erstmal hoch mit dem Kombi und runter mit den Vorderrädern. Die Verbindung vom Stabilisator zum Querlenker wollten wir sowieso tauschen, darum lösen wir sie gleich mit. Das hat den Vorteil das die Aufhängung nicht mehr ganz so stark verspannt ist und uns etwas mehr Bewegungsfreiheit bietet. Die äußeren Kugelgelenke am Achsschenkel sind als nächstes dran. Mit einem Schlagschrauber lösen wir die Muttern soweit möglich. Bei der hinten Zugstrebe müssen wir etwas kreativ werden. In der Not würde ein Schraubenschlüssel sicherlich auch funktionieren.
Selbst wenn die Muttern ohne großen Krampf gelöst sind, müssen wir jetzt noch den Konus aus seinem Sitz lösen. Dafür benötigt man entweder einen passenden Ausdrücker oder man schlägt von aussen mit dem Hammer auf den Achsschenkel damit sich der Konus lockert. Wir versuchen beide Varianten, sind mit der Hammerschlag Methode jedoch erfolgreicher. Die Gummilager am Achsträger sind jeweis mit einer durchgehenden Schraube und Mutter festgemacht. Hier gibt es keine besonderen Überraschungen. Alles sitzt ordentlich fest, lässt sich mit genügend Kraftaufwand aber lösen ohne die Schrauben zu beschädigen. Die hintere Zugstrebe kann jetzt einfach rausgenommen werden. An der vorderen hängt jetzt noch das Federbein dran. Auch dieses wird von einer Schraube mit Mutter gehalten.
Bis zu diesem Zeitpunkt sind wir noch keine 30min bei der Sache. Wenn erstmal das passende Werkzeug bereit liegt und man weiß wie es am besten funktioniert geht es bestimmt noch schneller. Auch das ist ein Faktor bei der Zeitplanung den man nicht unterschätzen sollte; neue Arbeiten an unbekannten Autos dauern beim ersten Mal defintiv länger als beim zweiten oder dritten Mal. Wir können jetzt schon damit anfangen die neuen Teile einzusetzen und alles lose zusammenzustecken. Die inneren Gummilager dürfen erst festgeschraubt werden wenn das Fahrwerk in Normallage ist. Dazu stellen wir einen Holzbalken unter die Aufhängung und senken die Bühne ein Stück weit ab um die Federung zu komprimieren. Die beiden Schrauben bekommen jeweils 70Nm +180° Anzugsmoment und die Muttern am Achsschenkel je nach Werkstoff entweder 100Nm (Stahlgehäuse) oder 110Nm (Alugehäuse). Das Federbein wird mit 90Nm +90° festgeschraubt.
Zum Abschluss, wenn beide Seiten der Vorderachse soweit fertig sind, klappen wir den Stabilisator wieder hoch und installieren die Koppelstangen. Die Schrauben bekommen hier 40Nm +90° Anzugsmoment. Jetzt ist die Vorderachse wieder komplett und die Räder kommen zurück an ihren Platz. Mit dem Auto auf dem Erdboden sind wir offiziell durch für heute. Diese Aktion dauerte inkl. Pizzapause noch nichtmal drei Stunden. Wir hatten innerlich schon mit vier oder fünf Stunden gerechnet falls irgendwas nicht klappt. So kann man sich auch mal im positiven Sinne verschätzen.
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