Montag, 25. Juli 2022

Ein (fast) wertloses Neufahrzeug ?

 

Wenn "einem guten Freund" ein nagelneues Fahrzeug quasi für umsonst angeboten wird, sind wir erstens verdammt neugierig und zweitens skeptisch. Niemand hat heutzutage was zu verschenken. Aber welches dunkle Geheimnis hängt an dieser Brixton BX125 das es für den Besitzer sinnvoller erscheint den Bock zu verschleudern als ihn mit maximalem Gewinn zu verkaufen - oder einfach selbst damit zu fahren. Ist es ein technisches, juristisches oder menschliches Problem?


 

Alles hat damit angefangen das die Bundesregierung Anfang 2020 beschlossen hat die Führerscheinklasse B mit der Zusatzzahl 196 einzuführen. Diese erlaubt es mit einer relativ schnellen und günstigen Fortbildung in der Fahrschule Motorräder mit bis zu 125ccm zu fahren. Passend zum Sommer hat unser Bekannter genau das gemacht und will jetzt eine geeignete Maschine kaufen. Dabei stieß er auf dieses erstmal sehr interessante Angebot aus der Region. Eine nagelneue Brixton für nur wenige hundert Euro. Allein zwei neue Reifen bei einem richtigen Motorrad dürften schon mehr kosten. 

 

 

Insgeheim rechnen wir zunächst mit einem Betrüger der den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen will oder kurzfristig einen Rückzieher macht. Tatsächlich exisitert die Maschine wirklich und ist auch noch da als wir sie vor Ort besichtigen wollen. Der Verkäufer hat am Telefon nicht zu viel versprochen, auf dem Tacho stehen ganze drei Kilometer und auf den Reifen ist noch die Farbmarkierung vom Herstellungsprozess sichtbar. Am Rahmen und den Anbauteilen findet man keinerlei Umfall oder Unfallspuren und die Fahrgestellnummer sieht auch nicht manipuliert aus. Alles was ihr akut fehlt ist eine neue Batterie. Die hat der Verkäufer schon besorgt und weil wir keinen Bock auf Starthilfekabel haben bauen wir sie mal eben ein. Dafür muss nur die rechte Seitenverkleidung abgenommen, das Gummiband ausgehakt und die beiden Batteriepole gelöst werden. Mit frischem Strom funktioniert der Tacho und die Beleuchtung schon mal. 

 

 

Ein kurzer Druck auf den Starterknopf weckt den kleinen 125ccm Einzylindermotor aus seinem Schlaf. Dank Benzineinspritzung läuft er sofort ziemlich rund und ohne Hilfe. Soweit so gut. Ohne Zulassung beschränkt sich die Probefahrt auf eine Runde über den Hof und die angrenzende Wiese. Bis in den dritten Gang konnten wir den Hobel immerhin hochbeschleunigen. Der Motor, das Getriebe und die Bremse funktionieren offenbar auch wie sie sollen. Aus technischer Sicht spricht bis jetzt nichts gegen den Kauf. Als nächstes interessieren uns die Beweggründe vom Verkäufer und ob alle Unterlagen vorliegen um die Mühle anzumelden. Die Kurzversion der Geschichte lautet das ursprünglich ebenfalls geplant war den B196 Führerschein zu machen, mittlerweile aber ein richtiger Motorradführerschein geplant ist und die Brixton deswegen überflüssig ist. 

 


Der originale Kaufvertrag vom Händler, das Handbuch und der Fahrzeugbrief (noch ohne ersten Eintrag) liegen alle parat und passen zur Fahrgestellnummer dieses Motorrad. Aber das erklärt immernoch nicht den extrem niedrigen Preis. Den erfahren wir jetzt; die Maschine erfüllt nur die Abgasnorm Euro 4 und ist seit dem 01.01.2021 nicht mehr ohne spezielle Ausnahmegenehmigung (neu) zulassungsfähig. Und selbst die Modelle mit Ausnahmen sind nur bis Ende 2021 irgendwie durchgekommen. Jetzt haben wir mitte 22 und sind weit jenseits jeglicher Karenzzeit. Hätte die Maschine beim Kauf oder kurz danach wenigstens eine Tageszulassung bekommen, wäre alles egal da es dann keine Neuzulassung mehr ist wenn wir sie wieder zurück auf die Straße bringen würden. 

 


Entweder hat der Verkäufer schon alles mögliche Versucht und ist damit gescheitert, oder er will sich die Arbeit ersparen und verzichtet dafür lieber auf etwas Profit. Wir befürchten eher den ersten Fall. Da wir auch keine spontane Garantielösung im Kopf haben, verzichten wir lieber fürs erste auf den Kauf. Nur um damit auf Privatgelände oder im Offroadpark rumzubrettern ist der Kaufpreis dann doch zu hoch und die Maschine eigentlich echt zu Schade. Trotzdem kreisn die Gedanken um die Problemstellung. Irgendwie muss es doch möglich sein so ein Fahrzeug das eigentlich nicht mehr zulassungsfähig ist (legal) in den Verkehr zu bringen. Tatsächlich gibt es ein paar mehr oder weniger aufwendige und langwierige Optionen. 



Möglichkeit Nummer 1: eine gebrauchte Unfallmaschine kaufen, deren Identität wir übernehmen können. Entweder der Rahmen ist noch in Ordnung, dann bauen wir einfach den neuen Motor, das Fahrwerk und alle übrigen Teile um und haben ein quasi neues Fahrzeug das auf dem Papier schon älter ist. Alternativ kann in Abstimmung mit der Zulassungsstelle auch nur die Rahmennummer vom neuen Rahmen durchgestrichen und die alte Nummer vom Spenderfahrzeug übernommen. Letzteres bringt mehr Bürokratie mit sich, hat aber den Vorteil das wir nach einem absoluten Schrotthaufen Ausschau halten müssen der dann hoffentlich für ganz kleines Geld gekauft werden kann. 

 


Möglichkeit Nummer 2: Fahrzeug ins Ausland verkaufen, wo diese Abgasproblematik noch nicht so akkut ist. Dort wäre das Motorrad zum einen deutlich mehr Wert als hier und zum anderen könnte es gelingen die Maschine nach einer Tageszulassung im Ausland wieder zurückzukaufen. Aber eine 100% Erfolgsgarantie gibt es dafür leider nicht - und man bräuchte einen Händler oder Strohmann im Ausland der mitspielt. Möglichkeit 3: Die Maschine kaufen und in Einzelteile zerlegen. Die Summer der Teile ist mehr Wert als ein komplettes fahrbereites Motorrad, besonders wenn alles noch wirklich neuwertig ist. Im Zweifelsfall will auch jemand einen unbeschädigten Rahmen haben um seine eigene Unfallmaschine wieder instand zu setzen. 


 

Die letzte und rechtlich fragwürdigste Methode erfordert eigentlich nur Geduld und etwas Geld für den Notar. Ähnlich wie bei dem Opel Manta B der damals ohne Papiere gekauft wurde, müsste bei der Zulassungsstelle eine Verlusterklärung für die Fahrzeugpapiere gemacht werden. Das diese absichtlich verloren bzw. vernichtet wurden ist erstmal nicht Gegenstand der eidesstattlichen Versicherung die man für die Aufbietung abgeben muss. Damit bei der Datenabfrage im Zentralregister in Flensburg nicht auffällt das dieses Motorrad noch nie zugelassen war, muss es seit mindestens sieben Jahren nicht mehr behördlich aufällig gewesen sein. Aufgrund der Fahrgestellnummer (zehnte Stelle, hier ein J) wissen wir das Baujahr der Brixton; 2018. Unter der Annahme das sie direkt im selben Jahr das erste Mal zugelassen, ein bisschen gefahren und dann zeitnah wieder abgemeldet wurde, sollte spätestens 2025 oder 26 nichts mehr in den Akten stehen. Somit gibt es keinen Nachweis dafür oder dagegen. 

 

 

Wir wollen uns nicht auf derartig rechtlich fragwürdige und noch dazu langwierige Experimente einlassen. Die Nummer mit der Unfallmaschine die ihren guten Namen und Rahmennummer spenden soll erscheint darum als beste Option. Und wenn sich partout kein geeigneter Spender finden will, können wir den Hobel immernoch ausschlachten und machen ziemlich sicher keinen Verlust dabei.

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